Gelebte Diversität - Interview mit Verena Sieber

Ein voller Vorlesungssaal und nur zwei Frauen sitzen darin. Verena Sieber hat genau das in ihrem Informatikstudium erlebt. Im Interview erzählt die Leiterin Steuerungs- und Support-Applikationen an der Insel Gruppe, wie sie als Frau in einer männerdominierten Branche ihren Träumen folgte, stets optimistisch blieb und welche Tipps sie jungen Menschen gibt, um ihre Ziele zu erreichen.


Kannst du deinen Werdegang kurz vorstellen?

Ich habe eigentlich nie etwas anderes gemacht als Informatik. Ich wusste ziemlich früh, dass ich etwas machen will, das mich herausfordert, unbekannt ist und mit Mathematik sowie logischem Denken zu tun hat. Den Entscheid, in Richtung Informatik zu gehen, habe ich mit ungefähr 19 Jahren in der Abschlussklasse gefällt. Unser damaliger Lehrer liess uns komplexe Mathematikaufgaben auf dem Taschenrechner lösen – einem Texas Instruments, falls man den noch kennt. Das hat mich total fasziniert und ich wollte die Funktionen für solche Algorithmen selber entwickeln können. Also entschied ich mich für ein Informatikstudium in Zürich. Man muss wissen – damals steckte die Informatik noch in den Kinderschuhen. Genau das war das Spannende daran. Nach etlichen Jahren Berufserfahrung bin ich dann zufällig ans Inselspital gekommen. Meine Aufgabe war es, das Labor OrderEntry System einzuführen. Irgendwann hatte ich aber das Bedürfnis, noch etwas anderes als Informatik zu machen – einfach zur Freude. Also habe ich noch ein Theologiestudium angehängt und als Freelancerin gearbeitet. Im Jahr 2012 bin ich dann wieder ans Inselspital zurückgekehrt. Heute bin ich bei der Insel Gruppe Leiterin Steuerungs- und Support-Applikationen. Ich liebe es, dass jeder Tag anders ist und neue Herausforderungen und Chancen bietet. Die Informatik entwickelt sich ständig weiter und man ist immer im Lernprozess. Das finde ich wirklich toll.

Die Informatik ist eher eine männlich dominierte Branche. Wie hast du die Branche als Frau erlebt? Hattest du mit bestimmten Herausforderungen zu kämpfen?

Als ich studierte, waren wir nur zwei Frauen. Da bekam man schon hin und wieder komische Blicke zugeworfen. Aber das war für mich nichts Neues, da ich schon im Gymnasium den mathematischen Weg gewählt hatte, was für eine junge Frau eher ungewöhnlich war. Mich persönlich hat das aber nicht gestört und ich wurde auch nie als Quotenfrau bezeichnet. Ich glaube, in der Informatik ist die Thematik weniger präsent als vielleicht in anderen Branchen. Das liegt wohl daran, dass die Materie so dynamisch ist. Jede Person muss sich ständig weiterentwickeln und sich beweisen, sonst kann sie fachlich nicht mithalten. Wahrscheinlich mussten Frauen sich früher etwas mehr beweisen als die Männer. Aber heute denke ich, dass das weniger der Fall ist. Die Gesellschaft ändert sich, auch wenn das Zeit braucht. In meinem Team sind wir momentan gleich viele Frauen wie Männer. Trotz der Entwicklungen erhalten wir bei offenen Stellen aber immer noch mehr Bewerbungen von Männern.

Hast du Vermutungen, woran das liegen könnte?

Ich vermute, dass es immer noch viel mit den klassischen Rollenbildern zu tun hat. Viele glauben immer noch, dass Mädchen in der Mathematik oder den Naturwissenschaften weniger gut sind. Kinder werden zu Hause und in der Schule von diesen Vorstellungen beeinflusst, was sich wiederum auf das Selbstwertgefühl und den zukünftigen Werdegang auswirken kann. Deshalb ist es wichtig, Kinder nicht zu entmutigen. Das Geschlecht sollte bei der persönlichen Leidenschaft oder Berufung keine Rolle spielen. Man sollte auf keinen Fall eine Karriere in der Informatik aufgeben, nur weil man die einzige Frau ist. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Auch wenn es in der heutigen Gesellschaft mehr Kindergärtnerinnen als Kindergärtner gibt, sollte das keinen Jungen davon abhalten, seinen Traum zu verfolgen. Die klassischen Rollenbilder sind zwar immer noch da, aber sie werden langsam etwas aufgelockert. Vielleicht wird die nächste Generation besser damit umgehen als meine.

Hast du einen Ratschlag für junge Menschen, die noch am Anfang ihrer Ausbildung oder Karriere stehen?

Wenn du einen Wunsch oder einen Traum hast, dann lebe ihn und glaube daran, dass du dein Ziel erreichen kannst. Bei Misserfolgen sollte man nicht direkt aufgeben. Das Wort «scheitern» wird oft als etwas Negatives angesehen. Wenn jemand zum Beispiel eine Lehrstelle oder ein Studium abbricht, ist diese Person in den Augen der Gesellschaft gescheitert. Aber so sehe ich das nicht. Es ist besser, etwas abzubrechen, das nicht das Richtige ist, und stattdessen das zu finden, was einen wirklich begeistert. Es ist wichtig, optimistisch zu bleiben. Ich hatte Glück, dass die Informatik für mich perfekt war, aber es hätte genauso gut nicht passen können. Zusammengefasst möchte ich den jungen Leuten raten, sich selbst treu zu bleiben, ihre Träume zu verfolgen und optimistisch zu bleiben.

Was sind deine Ziele für deine berufliche Zukunft?

Der Zeitpunkt wird kommen, an dem ich in Pension gehen muss. Aber ich möchte gerne in der Informatik aktiv bleiben. Es wäre grossartig, wenn ich Informatikkurse für Seniorinnen und Senioren oder Kinder geben könnte, um meine Begeisterung für das Fach weiterzugeben. Wenn ich heute die Wahl hätte, würde ich wieder die Informatik wählen. In all den Jahren hat sie mich nie gelangweilt und ich möchte gerne andere für das Thema begeistern.