Gelebte Diversität - Ein Gespräch mit Prof. Dr. med. Maria Luisa Balmer
Ärztin, Forscherin und Mutter – wie Maria Luisa Balmer diesen Spagat meistert, welche Kompromisse sie dabei eingehen muss und was sie jungen Menschen am Anfang ihrer Karriere rät, erzählt sie im Interview.
Frau Balmer, Sie wurden letzten Herbst mit dem Marie Heim-Vögtlin-Preis ausgezeichnet. Können Sie uns etwas über diese Auszeichnung erzählen und was sie Ihnen bedeutet?
Der Marie Heim-Vögtlin-Preis des Schweizerischen Nationalfonds wird jährlich an Nachwuchsforscherinnen verliehen, die inspirierende Vorbilder sind. Diese Ehrung hat mich natürlich sehr gefreut und erfüllt mich mit Stolz. Ich finde es schön, dass ich ein Vorbild für die nächste Generation von Forscherinnen und Wissenschaftlerinnen sein darf. Der Preis ist für mich jedoch mehr als nur eine Anerkennung meiner wissenschaftlichen Arbeit – er bestätigt, dass Frauen einen erfolgreichen Karriereweg gehen können, selbst wenn sie gleichzeitig eine Familie haben.
Wie nehmen Sie Ihre Rolle als Vorbild wahr?
In unserer Gesellschaft ist es leider noch nicht selbstverständlich, offen darüber zu sprechen, wenn man aus privaten Gründen, wie zum Beispiel einer Theateraufführung der Kinder, nicht erreichbar ist oder früher nach Hause geht. Genau das sollte jedoch zur Normalität werden. Mir ist es wichtig, ehrlich und transparent zu kommunizieren, wenn berufliche und private Verpflichtungen aufeinandertreffen. Ebenso wichtig ist es, sich bewusst zu sein, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben oft Kompromisse erfordert. Dieses Bewusstsein möchte ich auch in meinem Team fördern.
Sie haben Kompromisse erwähnt. Welche Kompromisse müssen Sie eingehen und wie gelingt es Ihnen, die verschiedenen Rollen als Ärztin, Forscherin und Mutter zu vereinbaren?
Zunächst einmal ist es wichtig, zu akzeptieren, dass man nicht überall Perfektion erreichen kann. Besonders als Mutter musste ich lernen, meine hohen Ansprüche loszulassen. Manchmal bringt das Kind eben einen gekauften statt eines selbst gebackenen Kuchens zur Geburtstagsparty mit – und das ist völlig in Ordnung. Weiter muss man sich bewusst sein, dass man als forschende Person mit familiären Verpflichtungen nie ganz mit Forschenden ohne Familie konkurrieren kann, die sich zu 100 Prozent auf ihre Arbeit konzentrieren können. Das kann manchmal frustrierend sein, aber Kompromisse sind entscheidend, um diese verschiedenen Rollen zu stemmen. Es gibt aber auch noch andere wichtige Faktoren.
Welche?
Man braucht die Unterstützung aus dem Umfeld. Mein Mann und ich teilen uns beispielsweise die Kinderbetreuung auf. Auch Freundinnen und Freunde sowie meine Familie sind stets hilfsbereit und unterstützen mich, wenn ich sie brauche. Ich hatte auch im beruflichen Umfeld das Glück, einige Mentorinnen und Mentoren zu haben, die mich in meiner Karriere unterstützt und gefördert haben. Dank ihnen konnte ich beispielsweise im Jobsharing am Inselspital arbeiten und Forschung und klinische Tätigkeit miteinander verbinden.
Flexibilität spielt ebenfalls eine zentrale Rolle. Meine Arbeitszeiten haben sich stark verändert und sind nicht mehr klassisch von 09.00 bis 18.00 Uhr, sondern variieren stark. So arbeite ich teilweise von 09.00 bis 16.00 Uhr und dann noch einmal von 20.00 Uhr bis 22.00 Uhr.
Mein Vorteil ist zudem, dass ich gerne viele verschiedene Dinge mache und mehrere Hobbys pflege. Das war schon immer so. Allerdings gelingt mir das alles nicht immer reibungslos und spielend leicht. Oft fällt es mir schwer, etwas abzuschliessen oder beiseitezulegen, was manchmal zu einem kreativen Chaos führen kann. In solchen Momenten ist es wichtig, pragmatisch zu bleiben, um die unterschiedlichen Anforderungen zu meistern.
Was möchten Sie jungen Personen mit auf den Weg geben, die eine ähnliche Karriere mit familiären Verpflichtungen vereinbaren möchten?
Ich finde es schwierig, eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage zu geben, da ich nicht in die Zukunft blicken kann. Was heute wichtig ist, könnte in 20 Jahren eine ganz andere Bedeutung haben. Ein passendes Umfeld, sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext, wird jedoch meiner Meinung nach immer eine zentrale Rolle spielen. Es ist wichtig, Mentorinnen und Mentoren zu haben, die ehrlich unterstützen und beratend zur Seite stehen, ohne ihre eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen. Man sollte sich generell ein Umfeld suchen, in dem man sich wohlfühlt, wo eine positive Atmosphäre herrscht und die eigenen Werte und Normen geteilt werden.
Es ist mir auch wichtig zu erwähnen, dass es möglich ist, die Mehrfachrolle mit beruflichen Herausforderungen, Familienleben und Hobbys miteinander zu vereinbaren. Doch es ist nicht immer einfach. Es braucht die richtige Unterstützung und die Bereitschaft, nicht alles perfekt machen zu wollen – so ist es machbar.