«Der Himmel wurde zu meinem engen Vertrauten»

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxie, als Sterne geboren wurden und wieder gestorben sind. Abertausende Lichtjahre entfernt hockt Dr. med. Beat Wirthmüller, Spitalfacharzt I der Universitätsklinik für Anästhesiologie und Schmerzmedizin, auf einer Wiese in den Schweizer Alpen und fängt das brachiale Schauspiel mit seiner Kamera ein.

"Ihre Dimensionen sprengen unsere Vorstellungskraft, beflügeln die Fantasie aber gleichwohl."

Wie ist deine Passion für die Astrofotografie entstanden?
Ich bin mit den bahnbrechenden US-amerikanischen Weltraummissionen und populären Science-Fiction-Werken wie «Star Wars» aufgewachsen. Daraus entstand mein Interesse für das, was da oben im Himmel passiert. In den vergangenen Jahren habe ich mich der Reise- und Landschaftsfotografie gewidmet. Ein Zeitungsartikel über eine Sternenlichtparty auf dem Gurnigel, der ein Bild der Bergkette samt Milchstrasse enthielt, brachte mich dann zur Astrofotografie. Die Chance zu haben, ein ähnliches Bild zu machen, war verlockend. Auf meinem Foto konnte man die Milchstrasse zwar einigermassen erkennen, aber wirklich gut war es noch nicht (lacht).


Vergleicht man dieses Bild mit deinen jüngsten Werken, hat sich da viel getan.
Am Anfang war natürlich alles ein Buch mit sieben Siegeln. Sprich: Man hat keine Ahnung, kennt vielleicht ein paar Sternenbilder. Diese aber in all ihrer Pracht mit ihren einzigartigen Formen und flammenden Farben einzufangen, braucht eine entsprechende technische Ausrüstung. Meine Kameras sind astromodifiziert: Anders als herkömmliche haben sie keinen integr ierten Filter, der Infrarot blockieren würde. Viele Lichter im Sternenhimmel befinden sich genau in diesem Bereich, das menschliche Auge kann diesen jedoch nicht wahrnehmen.


Für dein Hobby musst du viele kalte Nächte abseits der Zivilisation verbringen. Was macht für dich den Reiz aus?
Je weiter von den Stadtzentren weg und je höher hinauf ich mich begebe, desto bessere Bilder kann ich schiessen. Künstliches Licht wie Strassenbeleuchtungen oder Luftverschmutzung sind der Albtraum jedes Astrofotografen. Während die Kamera über Stunden hinweg mehrere Dutzend Bilder macht, lasse ich die Natur und ihre Geräusche auf mich wirken. Der Nachthimmel tut das Übrige. An solchen Orten finde ich mich inmitten einer optisch und klanglich höchst stimulierenden Kulisse wieder.

Das Weltall fasziniert und inspiriert. Verortest du unsere Spezies seit deiner Beschäftigung als Hobbyastronom neu?
Man merkt, wie omnipräsent der Mensch ist. Vor einem Jahr war ich im Death-Valley-Nationalpark, einer eigentlich absolut einsamen Gegend, um Fotos von der Milchstrasse zu machen. Die Bilder zeigten einen auffallend knallgelben Lichtdom. Verursacht wurde er von Las Vegas, das rund 150 Kilometer entfernt liegt. Heutzutage ist es schwierig, einen Platz zu finden, der absolut dunkel ist. Das gilt auch für den Himmel. Oberhalb der Stratosphäre kreisen Tausende von hell leuchtenden Satelliten. Eigentlich schöne Sternschnuppen entpuppen sich als Weltraumschmutz, der in die Erdatmosphäre eindringt. Der Mensch hat sämtliche Bereiche durchdrungen – unten wie oben. Das stimmt nachdenklich.


Hat sich der Mensch Beat Wirthmüller durch die Auseinandersetzung mit dem Unendlichen und Erhabenen verändert?
Ich habe ein stärkeres Bewusstsein dafür erlangt, dass wir Sorge zur Natur tragen müssen. Wenn ich durch das Teleskop blicke, wird mir immer wieder klar, dass wir eigentlich nur kleine irdische Staubkörner im grossen Ganzen sind. Aber wir haben das Privileg, diese Himmelskörper, die teils mehrere Hunderttausend Lichtjahre entfernt sind, zu erfassen, festzuhalten und zu geniessen. Ihre Dimensionen sprengen unsere Vorstellungskraft, beflügeln die Fantasie aber gleichwohl. Der Himmel wurde zu meinem engen Vertrauten.

Worin liegt die Schönheit astronomischer Erscheinungen?
Sicher in den Farben und Formen. Aber auch in der Geschichte, die dahintersteckt. Mit einem Blick sieht man den Lebenszyklus von Sternen: Bei der Geburt können rotleuchtende interstellare Nebel entstehen, anschliessend «pubertieren» sie und wirken bläulich. Ein Sternentod kann eine Supernova zur Folge haben. Und dann bin da ich auf einer Wiese auf dem Gurnigel, der dieses Spektakel in – gelinde gesagt – sicherer Entfernung beobachten darf.
 

Welche Fähigkeiten, die du als Anästhesist haben musst, kommen dir dabei zugute?
Auf der Anästhesie haben wir einen äusserst hektischen Tagesablauf. Wir sind es gewohnt, mitten in der Nacht konzentriert hochkomplexe Arbeit zu verrichten und mit vielen Sinnesreizen umzugehen. Mein Hobby hilft mir einerseits dabei, wieder zu mir zu finden, andererseits kann ich dort meine Stärken als Mediziner einbringen. Mich zum Beispiel schnell mit technischen Geräten oder fremden Materien vertraut machen. Und als netten Nebeneffekt habe ich immer tolle Fotos für Vorträge und Podiumsdiskussionen (lacht).