Klanginseln im Inselalltag
Gibt es heilende Klänge? Können Geräusche schaden?
Die Musiktherapeutinnen Bettina Kandé und Betty Legler sprechen über die Kraft von Klangräumen und plädieren für einen achtsamen Umgang mit Alltagsgeräuschen.
Maschinen brummen, Menschen sprechen, Instrumente scheppern und ein Helikopter fliegt über das Spital: Mitten in dieser Geräuschkulisse des Spitalalltags arbeiten die Musiktherapeutinnen Betty Legler und Bettina Kandé. Legler unterstützt auf der Neonatologie frühgeborene Kinder und ihre Eltern, Kandé begleitet erwachsene Patientinnen und Patienten auf den onkologischen Stationen sowie am Lebensende auf der Palliativstation.
«Als Musiktherapeutinnen bilden wir einen Klangraum, der vor Geräuschen abschirmt. In diesem akustischen Raum finden die meisten Menschen Ruhe und Entspannung», erklärt Bettina Kandé. «In der Musiktherapie geht es nicht darum, mit bestimmten Klängen eine Krankheit zu heilen. Es geht darum, Kraft zu schöpfen, Zugang zu Gefühlen zu finden und die Krankheitsverarbeitung zu unterstützen. Es geht um Beziehung und Zuwendung», ergänzt sie.
Um einen solchen Klangraum zu schaffen, nutzen die beiden Musiktherapeutinnen häufig ein Monochord. Das ist ein hölzerner Klangkörper mit 28 Saiten, die alle harmonisch zu einem Grundton gestimmt sind. Das Instrument wird mit feinen, fliessenden Bewegungen gespielt, die Töne verschwimmen ineinander und werden vom Gehirn als Klangeinheit wahrgenommen. «Der obertonreiche Klang des Monochords wirkt wie ein Schwamm, der störende Geräusche aufnimmt und integriert», beschreibt Betty Legler.
Nach dem Spiel des Monochords fühlt es sich an, als fülle ein Nachklang den Raum. «Oft ziehe ich mich nach der Therapie ohne Worte zurück, damit Kind und Eltern mit ihren Gedanken und Empfindungen in diesem schützenden und nährenden Nachklang bleiben können», erklärt Legler. Aus dem Rückzug in den Klangraum der Musiktherapie schöpfen Frühgeborene und ihre Eltern, Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen Energie für den Umgang mit der kräftezehrenden Lebenssituation.
Es kann auch Enter Sandman von Metallica sein
Welcher Klang wie auf Menschen wirkt, ist von Person zu Person unterschiedlich. Im Laufe des Lebens werden wir mit Tönen und Geräuschen konfrontiert, die wir mit beruhigenden oder aufwühlenden Gefühlen verbinden. «Schon Babys können deutlich zeigen, welche Geräusche sie mögen – und welche nicht. Ich sehe, wie sich das Kind entspannt oder der Puls sinkt, wenn der Klang dem Kind guttut, oder wie seine Körperspannung oder Mimik sich verändern oder es seinen Kopf wegdreht und mir so kommuniziert, dass es jetzt gerade etwas anderes braucht», erzählt Legler. Ähnliches beobachtet auch Bettina Kandé bei Menschen am Ende des Lebens. «Ich begegne oft Menschen, die nicht mehr sprechen oder kaum noch reagieren können. Es kommt häufig vor, dass die Person während der Therapie plötzlich die Hand ausstreckt und den Kopf zur Klangquelle dreht», berichtet sie.
Beide betonen, dass Musik nicht immer guttut, sondern auch aufwühlen oder Stress auslösen kann – genauso wie unerwartete Geräusche oder Lärm. «Als Musiktherapeutinnen wollen wir Menschen mit Musik abholen, die sie emotional mit ihrer Welt verbindet und ihnen Sicherheit gibt», erklärt Kandé. Sowohl in der Onkologie, der Palliative Care als auch in der Neonatologie kann das durchaus auch Heavy Metal sein. Bei der Musiktherapie geht es dabei in erster Linie um vertraute Melodien und Rhythmen. «Wir singen auch mal Enter Sandman von Metallica, aber wir singen es angepasst an die Bedürfnisse des Kindes mit sanfter, warmer Stimme», beschreibt Legler.
Jedes Geräusch kostet Energie
Beide Musiktherapeutinnen betonen, wie wichtig ein achtsamer Umgang mit unserer auditiven Umwelt ist. «Unser Gehör ist auch zu unserem Schutz da und macht uns wachsam. Unerwartete Geräusche versetzen uns in Alarmbereitschaft», sagt Legler. Jedes akustische Signal aktiviert in unserem Gehirn mehrere Regionen und muss verarbeitet werden. Das braucht sehr viel Energie, was gerade für frühgeborene Kinder von grosser Bedeutung ist.
Energie, die für kranke Menschen oder Frühgeborene lebenswichtig ist. Der Geräuschpegel auf den Spitalstationen stellt aus Sicht der Musiktherapeutinnen deshalb oft ein Problem dar. In den neuen Spitalgebäuden ist die Situation dank guter Schallisolation zwar bereits viel besser als früher. «Trotzdem können wir im Spitalalltag noch einen grossen Beitrag leisten, wenn wir darauf achten, Alltagsgeräusche zu reduzieren», sagt Kandé. «Wir können sorgsam sein beim Schliessen einer Tür, beim Öffnen einer Verpackung oder auch beim Gespräch in unmittelbarer Nähe der Patientinnen und Patienten», bestätigt Legler. Beiden Frauen ist bewusst, wie herausfordernd ein achtsamer Umgang mit Geräuschen im hektischen Spitalalltag sein kann. Gerade deshalb ist es ihnen ein Anliegen, die Teams immer wieder für das Thema zu sensibilisieren.
Nicht nur für Patientinnen und Patienten und Angehörige, sondern auch für Mitarbeitende kann die Geräuschkulisse energieraubend sein. Kleine akustische Auszeiten wären wichtig, sind aber im Spitalalltag oft schwierig umsetzbar. «Pausen nutzen wir meist für Gespräche oder um etwas zu essen oder trinken. Wenn wir spüren, dass uns der Lärm- und der Aktivitätspegel stressen, wäre es wichtig, dass wir auch mal ganz bewusst einen Moment der Ruhe in unsere Pause oder auch in ein Meeting einbauen», sagt Bettina Kandé. Sei es in einem Raum der Stille, mit Noise-Cancelling-Kopfhörern im Gemeinschaftsbüro oder an einem ruhigen Ort auf dem Insel-Areal. «Abseits vom Brummen und Piepsen der Geräte und vom Kommen und Gehen der Menschen wirken oft bereits wenige Minuten kleine Wunder. Minuten, in denen man im bequemen Sitzen oder Stehen zunächst seinen Atem beobachtet und dann mit jedem Ausatmen eine Körperregion nach der anderen zur Entspannung einlädt», empfiehlt Betty Legler.