Feingefühl im Umgang mit Emotionen

Auf der onkologischen Bettenstation und im Palliativzentrum der Universitätsklinik für Medizinische Onkologie des Inselspitals werden schwer kranke Menschen betreut. Wie viel Humor ist in diesem Umfeld noch möglich?

Für Kathrin Kohler, Bildungsverantwortliche Pflege im Medizinbereich Tumor und Pflegefachfrau auf der onkologischen Bettenstation des Inselspitals, und für Yvonne Sonneborn, Teamleiterin Pflege im Palliativzentrum des Inselspitals, liegen Lachen und Weinen im Arbeitsalltag oft nahe beieinander. Im Gespräch berichten sie über den delikaten Umgang mit eigenen und fremden Emotionen. 

Haben die Menschen, die Sie betreuen, noch etwas zu lachen?
Kathrin Kohler: Das ist immer sehr abhängig vom Stadium ihrer Erkrankung. Die meisten Patient:innen bei uns auf der onkologischen Bettenstation lachen nicht mehr so intensiv wie früher, als sie noch gesund waren.

Yvonne Sonneborn: Beim Eintritt in die palliative Therapiephase überwiegt zunächst meist die Traurigkeit. Während ihres Aufenthaltes finden aber tatsächlich einige Patient:innen ihr Lachen wieder. Unser Ziel ist es, ihre Bedürfnisse in der letzten Lebensphase so zu erfassen und zu befriedigen, dass sie im besten Fall eine Lebensqualität erreichen, bei der auch Lachen und Freude Platz haben. Wenn es uns gelingt, ihre Symptome so weit zu lindern, dass die Patient:innen wieder nach Hause ins gewohnte Umfeld zurückkehren können, ist dies – fast immer – ein Grund zur Freude. 

«Es braucht viel Feingefühl, um tragische Situationen humorvoll gestalten zu können.»

Yvonne Sonneborn, Teamleiterin Pflege im Palliativzentrum

Ist Lachen im Umgang mit schwer- oder todkranken Menschen erlaubt?
Y. Sonneborn: Es ist nie lustig, jemandem zu eröffnen, dass es keine Heilungschancen für seine oder ihre Krankheit gibt. Dennoch ist es uns wichtig, dass wir unseren Patient:innen in den Gesprächen auf Augenhöhe begegnen und nichts beschönigen. Dabei kann aber auch immer wieder mal ein Lachen Platz haben. Entscheidend ist, dass man mit den Patient:innen lacht, nicht über sie. Es braucht allerdings viel Feingefühl, um tragische Situationen humorvoll gestalten zu können.

K. Kohler: Ja, Lachen ist sicher erlaubt. Auch Patient:innen lachen in manchen Situationen – wenn sie zum Beispiel Geschichten erzählen oder über Missgeschicke berichten. Es ist nicht immer einfach abzuschätzen, ob es in diesen Situationen angebracht ist, wenn auch das Pflegepersonal mit Humor darauf reagiert. Meist spüren wir das jedoch sehr schnell.

Y. Sonneborn: Bei uns im Palliativzentrum sehen wir nicht nur die traurigen Aspekte des Sterbens. Viele Menschen sehnen sich nach dem Ende ihres Leidens. Ein friedliches Gehen kann sehr schön sein.

Wie sehr können Angehörige in dieser schweren Lebensphase noch lachen? 
K. Kohler: Auf der onkologischen Bettenstation erleben wir oft, dass die Angehörigen nur zu den interdisziplinären Gesprächen ins Spital kommen, wenn das behandelnde Team die Prognose und den Behandlungsverlauf besprechen möchte. In diesen Momenten gibt es leider nicht viel zu lachen, da in diesen Gesprächen meist unschöne Nachrichten überbracht werden müssen.

Y. Sonneborn: Die Angehörigen tragen eine grosse Last und trauen sich kaum zu lachen, während es einem Menschen, der ihnen nahesteht, so schlecht geht. Ihre Betreuung ist ein fester Bestandteil unserer Arbeit im Palliativzentrum. Wir ermuntern sie, zu sich selbst zu schauen, damit das Netzwerk nicht zusammenfällt.

Gibt es Situationen, in denen nicht das Lachen, sondern die Tränen zuvorderst sind?
Y. Sonneborn: Ja. Sicher. Gerade wenn junge Patient:innen sterben. Auch wenn der Kontakt zur Familie eng war und wir beim letzten Atemzug mit dabei sind, weinen wir manchmal mit den Angehörigen. Es muss möglich sein, Emotionen zu zeigen, auch wenn wir versuchen, schwierige Situationen mit professioneller Distanz auszuhalten.

K. Kohler: Tränen gibt es immer mal wieder, wenn wir zum Beispiel die Therapie von sehr jungen Patient:innen oder von Menschen, die lange bei uns auf der onkologischen Bettenstation waren, abbrechen müssen, weil kein Erfolg mehr zu erwarten ist. Im Beisein von Patient:innen und Angehörigen versuchen wir, die Fassung zu wahren. Aber im Stationsbüro können dann schon mal Tränen fliessen.

«Humor hilft manchmal dabei, sich von all den schweren Schicksalen abzugrenzen.»

Kathrin Kohler, Bildungsverantwortliche Pflege und Pflegefachfrau auf der onkologischen Bettenstation

Wie gelingt es, solche tragischen Situationen zu überwinden?
K. Kohler: Humor hilft manchmal dabei, sich von all den schweren Schicksalen abzugrenzen. Wir dürfen nicht unser eigenes Leben vergessen, sonst schaffen wir es nicht, unseren Patient:innen zu einer möglichst guten Lebensqualität zu verhelfen. Wenn wir immer ernst wären und nie lachen würden, würde sich die traurige Grundstimmung auf unsere Patient:innen übertragen.

Y. Sonneborn: In regelmässigen ethischen Fallbesprechungen können wir schwierige Situationen bei uns im Palliativzentrum mit einem Ethiker besprechen. Bei schlimmen Sterbesituationen nehmen wir auch mal das Angebot des Care Teams des Inselspitals in Anspruch. Ausserdem kennen wir einander im Team meist gut genug, um zu merken, wenn es jemandem schlecht geht. Dann sprechen wir die Person an – in der Runde oder im Einzelgespräch. Es ist wichtig, dass wir unsere Emotionen benennen, verarbeiten und bei der Arbeit lassen können. Die Gefässe zur Verarbeitung sind vorhanden, im hektischen Alltag muss man sich nur manchmal zwingen, sich Zeit dafür zu nehmen.