Der Weg von der ersten Idee zur klinischen Studie

Ein Kaugummi, der beim Abnehmen unterstützen könnte – daran wird am Inselspital aktuell geforscht. Dr. Valentina Huwiler, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Pädiatrischen Endokrinologie der Kinderklinik am Inselspital und am Institut für Infektionskrankheiten (IFIK) der Universität Bern, berichtet, wie aus einer Idee ein klinisches Forschungsprojekt entstanden ist.

Frau Dr. Huwiler, gemeinsam mit anderen Forschenden haben Sie FajbaGum entwickelt, einen Kaugummi gegen Übergewicht: Wie kam es zu dieser Idee?
In der Therapie von Übergewicht sehen wir immer wieder, dass klassische Empfehlungen wie gesunde Ernährung und Bewegung oft nur begrenzt wirken und langfristig selten beachtet werden. Mich persönlich faszinieren Ernährung und Lebensmittel schon lange. Ich habe Lebensmittelwissenschaften studiert, meine Doktorarbeit im Bereich Ernährungsmedizin gemacht und wusste aus der Forschung, dass der Darmflora eine wichtige Rolle zukommt. Auf einem Kongress hörte ich dann einen Vortrag, der mich aufhorchen liess: Übergewichtige Kinder und Jugendliche kauen oft zu wenig und essen hastig. Das brachte uns auf die Idee.

Wie genau funktioniert FajbaGum?
FajbaGum hat eine doppelte Wirkung: Zum einen enthält er lösliche Nahrungsfasern, die im Darm aufquellen und so ein natürliches Sättigungsgefühl auslösen. Diese Fasern gelangen weitgehend unverdaut in den Dickdarm, wo sie von der Darmflora verarbeitet werden. Dabei entstehen gesunde Stoffwechselprodukte, die wiederum Sättigungshormone anregen. Zum anderen regt der Kaugummi den Speichelfluss an, trainiert die Kaumuskulatur und sorgt dafür, dass unser Mund beschäftigt ist. So unterstützt er auf mehreren Ebenen ein gesundes Essverhalten.

«Anderen jungen Forschenden rate ich, an die eigene Idee zu glauben, auch wenn sie simpel klingt und dranzubleiben, auch wenn es Gegenwind gibt.»

Dr. Valentina Huwil, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Pädiatrischen Endokrinologie der Kinderklinik am Inselspital und am Institut für Infektionskrankheiten (IFIK) der Universität Bern

In welchem Stadium der Forschung befindet sich Ihr Projekt aktuell?
Wir sind in der Endphase unserer ersten klinischen Studie mit 105 Kindern und Jugendlichen mit einem starken Übergewicht, hier am Inselspital und am Ostschweizer Kinderspital.

Wie haben Sie den Weg von der ersten Idee bis zur klinischen Studie erlebt?
Es waren viele Etappen: Zuerst ging es darum, die Idee auszuarbeiten, dann Partner für die Kaugummi-Produktion zu finden, ein Studienkonzept zu schreiben, einen Ethikantrag zu erstellen und dann die klinische Studie zu starten. All dies war nur dank der Zusammenarbeit mit Ärzt:innen, Zahnärzt:innen, Ernährungsberater:innen, anderen Forscher:innen sowie dem Diabetes Center Berne und der Migros-Tochter Delica möglich, die den Kaugummi für uns produziert.

Welche besonderen Herausforderungen gab es?
Eine der grössten Herausforderung war die rechtliche Einordnung von FajbaGum: Ist es ein Lebensmittel oder ein Medikament? Das war nicht von Anfang an klar. Wir wollten FajbaGum wissenschaftlich so genau wie ein Medikament testen, weil wir zeigen möchten, dass er tatsächlich wirkt. Die Ethikkommission hat uns deshalb aufgefordert, für die Studie eine offizielle Zulassung bei Swissmedic zu beantragen. Swissmedic kam aber nach Prüfung zum Schluss, dass FajbaGum ein Lebensmittel ist. Das war für uns eine Erleichterung, benötigte aber viel Zeit und Abklärungen.

Wie reagieren Patient:innen auf FajbaGum?
Die Kinder sind sehr neugierig und wollen den Kaugummi meistens sofort ausprobieren. Obwohl er mit 3 Gramm für einen Kaugummi sehr gross ist, finden sie, er könnte sogar noch grösser sein. Die Eltern der Kinder fragen uns sehr oft, wann sie endlich mitkauen dürfen. Zum Glück können wir Ihnen bald eine positive Nachricht überbringen. Im Oktober beginnen wir mit der Rekrutierung für die zweite klinische Studie mit übergewichtigen Erwachsenen.

Sie haben für dieses Forschungsprojekt ein Venture Fellowship der Universität Bern erhalten. Was bedeutet diese Unterstützung für Sie?
Das Venture Fellowship ist für uns eine grosse Chance. Für mich ist es wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und dort Unterstützung zu holen, wo man alleine nicht mehr weiterkommt. Mit dem Venture Fellowship erhalten wir Zugang zu Wissen über das Marktpotenzial, Investorenkontakte und strategische Fragen, die für uns als Forscher:innen Neuland sind. Dazu gehört auch eine Coachin, die uns ein Jahr lang begleitet. So können wir uns mit voller Energie auf das Projekt konzentrieren. Für uns ist es auch eine Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Was motiviert Sie bei Ihrer Arbeit?
Der direkte Kontakt mit den Patient:innen; zu sehen, wie viel Hoffnung und Interesse da ist. Und die kleinen Gesten: handgeschriebene Dankeskarten, die wir von Teilnehmenden bekommen, sind immer wieder ein Aufsteller.

Was raten Sie jungen Forscher:innen, die aus ihrer Idee ein Produkt entwickeln und den Weg in die Praxis – vielleicht sogar in ein eigenes Unternehmen – wagen wollen?
An die eigene Idee glauben, auch wenn sie simpel klingt und dranbleiben, auch wenn es Gegenwind gibt. Gleichzeitig den Austausch suchen: mit Fachleuten, aber auch mit potenziellen Nutzer:innen, um die Idee zu testen. Und keine Scheu haben, Leute anzusprechen: viele nehmen sich gerne Zeit für ein Gespräch oder einen Kaffee.

Wo sehen Sie FajbaGum in fünf Jahren?
Ich wünsche mir, dass wir bis dann vielen Kindern helfen konnten, gesünder ins Erwachsenenleben zu starten und dass FajbaGum dann auch Erwachsenen beim Abnehmen oder bei Verdauungsproblemen helfen kann. Vielleicht wird der Kaugummi irgendwann frei erhältlich sein. Das würde mich freuen.