Wenn der Winter auf die Stimmung drückt
Draussen ist es kalt und nass, und die Sonnenstunden sind rar: Die dunkle Winterzeit schlägt vielen Menschen aufs Gemüt. Bei einigen kann das sogar zu einer Winterdepression führen. Die Situation rund um COVID-19 verschärft das Ganze zusätzlich.
Schon der Start in den Tag bereitet Schwierigkeiten. Wozu soll man auch aufstehen? Draussen ist es dunkel und kalt, und die Probleme türmen sich auf. Den ganzen Tag leidet man unter Antriebslosigkeit, und am Abend fehlt die Energie, um etwas zu unternehmen. Man zieht sich zurück, schläft und isst. Überzählige Kilos können zusätzlich auf das Gemüt drücken. Eine Negativspirale aus gedrückter Stimmung, schlechtem Gewissen und Antriebsschwäche setzt ein.
Weltweit leben etwa 350 Millionen Menschen mit einer Depression. Allein in der Schweiz sind jährlich rund 400 000 Personen betroffen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass nur jede vierte der depressiven Personen adäquat behandelt wird. Depressionen gehören zu den häufigsten Erkrankungen weltweit. Zur anhaltenden Niedergeschlagenheit sowie zur Interessen- und Antriebslosigkeit kommen nicht selten Selbstvorwürfe, eine innere Unruhe, Schlafstörungen und eine Verlangsamung von Denken und Bewegung. Bei schweren Depressionen können auch Todeswünsche und Suizidgedanken auftreten.
Das fehlende Licht als Auslöser
Eine Sonderform ist die Winterdepression (seasonal affective disorder, SAD): Dabei treten Krankheitsphasen wiederholt und ausschliesslich in den Wintermonaten auf. In Skandinavien sind Winterdepressionen entsprechend häufiger als in südeuropäischen Ländern. Das fehlende Licht in der dunkleren Jahreszeit ist dafür ein wichtiger Auslöser. Denn Licht ist ein wichtiger Impulsgeber für unsere innere Uhr. Diese stimmt die körpereigenen Abläufe auf den Tag-Nacht-Rhythmus der Erde ab: In der Netzhaut des Auges wird Licht in Nervensignale umgewandelt. Diese Signale werden zum Nucleus suprachiasmaticus weitergeleitet, einem Kerngebiet in der Mitte des Gehirns. Zellen in diesem Gebiet sind für den inneren 24-Stunden-Rhythmus verantwortlich: Sie steuern die rhythmische Ausschüttung des Botenstoffs Melatonin in den Körper. Dieses körpereigene Hormon regelt unseren Schlaf-Wach-Rhythmus und taktet unsere innere Uhr, den Biorhythmus.
Fehlendes Licht kann diese Funktionen erheblich stören und damit ein Auslöser für Winterdepressionen sein.
Vor rund 35 Jahren entdeckte eine Ärztin am Inselspital, dass Licht gegen Winterdepressionen hilft. Seitdem sind Lichttherapien in der Psychiatrie etabliert. Dafür gibt es spezielle Lichttherapielampen oder -brillen, die auch auf ärztliche Verschreibung erhältlich sind. Eine solche «Fototherapie» mit UV-Licht empfiehlt sich bei wiederkehrenden Winterdepressionen auch präventiv. Bei den häufigeren nicht saisonalen Depressionen ist Licht dagegen weniger wirksam.
Winterblues oder Depression?
Der Unterschied zwischen dem gängigen Winterblues und der klinischen Diagnose einer Winterdepression liegt im Ausmass der Beeinträchtigung: Von einer Winterdepression spricht man, wenn Betroffene während mindestens zweier Wochen an anhaltender Niedergeschlagenheit, Interessen- und Antriebsminderung leiden und kaum mehr am Alltag teilnehmen können. Auch der Schlafrhythmus und der Appetit können sich dabei verändern: Im Gegensatz zu anderen Depressionen haben bei einer Winterdepression viele Betroffene das Bedürfnis, mehr zu schlafen und zu essen. Typisch für eine Winterdepression ist zudem, dass sie nach dem Winter relativ schnell wieder abklingt.
Menschen mit einer Winterdepression fühlen sich kraftlos und allein. Dazu kamen in den letzten Jahren als zusätzliche Risikofaktoren die Einschränkungen durch das Coronavirus. Statt wie empfohlen nach draussen ans Tageslicht zu gehen, soziale Kontakte zu pflegen, Sport zu treiben und sich gesund zu ernähren, waren viele Betroffene gezwungen, zu Hause zu bleiben. Ob die Winterdepressionen dadurch in der Schweiz zugenommen haben, lässt sich aber noch nicht sagen. Sicher ist, dass es heute sehr gute Behandlungsmöglichkeiten für Winterdepressionen gibt. Bei leichten depressiven Verstimmungen empfehlen Fachleute die oben erwähnten Aktivitäten, bei schwereren Verläufen eine Psychotherapie und eine medikamentöse Behandlung.