Eine Nacht im Schlaflabor
Mike (51) kämpft seit fünf Jahren mit Schlafproblemen. Er hat schon viele Dinge ausprobiert, um besser schlafen zu können. Eine Nacht im Schlaflabor des Universitären Schlaf-Wach-Epilepsie-Zentrums (SWEZ) im Inselspital bringt Aufschlüsse über die Ursache seiner Probleme.
Sein Leidensweg begann vor fünf Jahren mit Einschlaf- und Durchschlafproblemen, bis er schliesslich fast gar nicht mehr schlafen konnte. Er war gereizt und dünnhäutig, hatte jede Lebensqualität verloren: Mike ist als Art Director in der Marketing- und Kommunikationsabteilung eines grossen Unternehmens tätig, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er ist 51 Jahre alt, 190 Zentimeter gross und 93 Kilogramm schwer. Vor fünf Jahren hat er mit dem Rauchen aufgehört und seitdem ein paar Kilos zugelegt. Dann kamen die Schlafprobleme. Eine Diät sorgte kurzzeitig für Linderung, und momentan hilft auch Meditation gegen das lange Wachliegen in der Nacht. Er glaubt, dass die Anschaffung des Familienhunds vor anderthalb Jahren ebenfalls zur Besserung beigetragen hat. Aber die Schlafstörungen treten immer mal wieder auf und beeinträchtigen seinen Alltag. Deshalb hat sich Mike ans Inselspital gewandt und dort zunächst die Schlafsprechstunde im Neurozentrum besucht. Jetzt soll die Aufzeichnung seines Schlafs im Schlaflabor Aufschluss über die Ursache seiner Schwierigkeiten geben.
21.45 Uhr: Regen prasselt nieder und Blitze durchzucken den Himmel. Dramatischer könnten die Rahmenbedingungen für Mikes Nacht im Schlaflabor nicht sein: Als ihn seine Frau mit dem Auto vor dem Universitären Neurozentrum absetzt, geht gerade ein heftiges Gewitter über dem Inselspital nieder.
22.01 Uhr: Die erfahrene medizinisch-technische Assistentin Andrea Gehrig begrüsst Mike und weist ihm seinen Schlafplatz zu: Im Zimmer B148d, das auch mit «Koje 3» beschriftet ist, macht er sich fertig für die Nacht. Er streift eine YB-Sporthose und ein bequemes T-Shirt über. Das Zimmer ist rund zehn Quadratmeter gross. Tagsüber wird es für medizinische Behandlungen und Patientengespräche genutzt: ein kleiner Schreibtisch, zwei Stühle, ein Hocker. An der Wand das Bett mit Nachttischlampe. Aber kein Fenster. Eine Türe im Raum führt zum kleinen WC mit Dusche.
22.15 Uhr: Befragung vor der Verkabelung. «Wie gross und wie schwer sind Sie? Haben Sie letzte Nacht normal geschlafen? Haben Sie heute Alkohol, Kaffee, Tee, Cola oder andere koffeinhaltige Getränke zu sich genommen? Mussten Sie sich heute über etwas aufregen oder Sorgen machen? Haben Sie einen Mittagsschlaf gemacht?»: Andrea Gehrig vermerkt Mikes Antworten im Formular. Der Art Director gibt zu Protokoll, dass er um 13 Uhr beim Zeitunglesen kurz für fünf Minuten weggenickt ist.
22.23 Uhr: Es geht los: Andrea Gehrig vermisst Mikes Kopf und markiert die Stellen, wo anschliessend Elektroden angebracht werden sollen. Im Sitzen werden ihm Gurte angelegt, die den Herzrhythmus (Elektrokardiogramm, EKG) sowie die Brust- und die Bauchatmung kontrollieren. Die Haut wird zuerst mit einer Peelingpaste gereinigt, danach werden die mit Fett versehenen Elektroden mit einem Pflaster und Sekundenkleber angebracht. Am Mittelfinger der rechten Hand wird ein Sensor angeclippt, der die Sauerstoffsättigung im Blut misst. Elektroden auf dem Kopf zeichnen Mikes Hirnstromkurve (Elektro-Enzephalografie, EEG) auf. Weitere Elektroden über und unter den Augen protokollieren die Augenbewegungen (Elektro-Okulografie). Zusammen mit der Messung der Muskelaktivität am Kinn (Elektro-Myogramm, EMG) gibt das Aufschlüsse über den REM-Schlaf. Sämtliche Kabel werden ins Hauptgerät gesteckt, das Mike auf dem Bauch trägt. Die Nasensonde, die Andrea Mike in die Nasenlöcher schiebt, misst die Atmung, und auch an den Beinen des 51-Jährigen werden nach kurzer Rasur Elektroden angebracht, die seine Muskelaktivität kontrollieren. Um 23.10 Uhr ist Mike bereit für die Nacht.
23.17 Uhr: «Hören Sie mich?» Andrea Gehrig startet das System auf und kontrolliert im Überwachungsraum, ob alle Messparameter funktionieren. Mike wird die ganze Nacht gefilmt, und auch sämtliche Geräusche werden aufgenommen. Zurück im Zimmer misst Andrea Gehrig dann noch Mikes Blutdruck und kalibriert das entsprechende Messsystem. «Wir löschen jetzt das Licht. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht. Wenn Sie ein Anliegen haben, können Sie sich jederzeit melden.»
0.03 Uhr: Nach einer relativ kurzen Anlaufzeit schläft Mike erstmals ein. Eine gute Stunde später döst er wieder vor sich hin, dreht sich ein paarmal und versucht wieder einzuschlafen.
3.57 Uhr: Mike läutet, weil er dringend Wasser lassen muss. Die zweite Fachfrau, die neben Andrea Gehrig eine Nachtschicht macht und die vier Schlafenden im Schlaflabor überwacht, öffnet die Zimmertür und entkabelt ihn. Danach legt sich Mike wieder ins Bett.
4.31 Uhr: Mike schläft wieder ein. Eine gute Stunde später wird er von den Geräuschen auf der Abteilung wieder wach und döst vor sich hin.
5.52 Uhr: Das Licht geht an, und Andrea Gehrig betritt das Zimmer. «Guten Morgen! Wir befreien Sie jetzt von den Kabeln.» Mit Nagellackentferner löst sie die Elektroden und öffnet die verschiedenen Gurte. Es folgt eine kurze Befragung, die Andrea Gehrig protokolliert: «Wie haben Sie im Vergleich mit den Nächten zu Hause geschlafen?» – «Ein bisschen weniger gut – ich denke, dass ich rund zweieinhalb Stunden fest geschlafen habe. Aber es gab auch zu Hause schon schlimmere Nächte!» «Warum haben Sie weniger gut geschlafen?» – «Das lag wohl an der neuen Umgebung und an der Verkabelung. Ich habe hier auch mehr gezuckt als zu Hause.» «Wie müde fühlen Sie sich jetzt?» – «Ein bisschen.» «Wie schläfrig sind Sie?» – «Ein bisschen.» «Wie aufmerksam sind Sie?» – «Ziemlich aufmerksam.» «Wie erholt sind Sie im Vergleich zu gestern Abend?» – «Ungefähr gleich.»
7.07 Uhr: Mike hat das Schlaflabor verlassen. Im «Centro Café + Shop» auf dem Inselareal kauft er sich einen Kaffee und ein Gipfeli. Er ist sehr gespannt auf die Auswertung der Nacht.
Das sagt der Experte
«Es gibt immer mehr Methoden, um den Schlaf-Wach-Rhythmus auch zu Hause aufzuzeichnen – zum Beispiel Handgelenks- oder Fussaktigraphien. Die Polysomnographien, die wir während einer Nacht im Schlaflabor machen, liefern umfassendere Daten. Meist sind die Schlafprobleme multifaktoriell bedingt: Eine Polysomnographie ist sowohl für die Diagnosesicherung als auch für die Therapieoptimierung hilfreich – zum Beispiel bei der Druckeinstellung des CPAP-Geräts.»
Dr. Markus Schmidt (PhD), Oberarzt und stv. Leiter Schlaf-Wach-Epilepsie-Zentrum (SWEZ), Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital
Diagnose: Obstruktive Schlafapnoe
Zwei Wochen später werden Mike in der Befundbesprechung die Resultate seiner Nacht im Schlaflabor präsentiert. Sie sind eindeutig: Mike leidet an einer obstruktiven Schlafapnoe. Diese entsteht, wenn die Muskulatur in den oberen Atemwegen erschlafft. Dadurch verengt sich der Atemweg im Rachenbereich und führt zum Schnarchen. Die Protokolle von Mikes Schlafzyklen lassen keinen Zweifel zu: Sein Schlaf ist stark fragmentiert, seine Schlafeffizienz liegt bei nur 70 Prozent (normal wären über 90 Prozent). Pro Stunde werden bei Mike 33 Atemaussetzer und 27 Sauerstoff-«Entsättigungen» aufgezeichnet: Wegen dieser Störung wird der Körper nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Das Gehirn löst dann eine kurze Aufweckreaktion aus, einen sogenannten Arousal. Dieser unterbricht den Schlafrhythmus und verhindert, dass Mike in den Tiefschlaf fällt, der für die Erholung des Körpers wichtig ist. In der gesamten Nacht befindet sich Mike 80 Minuten in der Einschlafphase, 163 Minuten im Leichtschlaf und nur 12 Minuten im Tiefschlaf. Lediglich zwei längere REM-Phasen (Traumschlaf) von total 24 Minuten werden aufgezeichnet. Normal sollte der Anteil des Tiefschlafs rund 15 bis 20 Prozent und jener des REM-Schlafs rund 20 bis 25 Prozent betragen.
«Kein Wunder, dass Sie am Morgen nicht erholt sind», sagt Oberarzt Markus Schmidt. «Bei 33 Aussetzern pro Stunde spricht man bereits von einer schwergradigen Schlafapnoe.» Er erklärt, dass diese Schlafstörung langfristig zu einer Erhöhung des Blutdrucks führt und das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall verdreifacht. «Wir empfehlen Ihnen, in der Nacht eine CPAP-Maske zu tragen, welche die Atmung durch einen kontinuierlichen Atemwegsüberdruck deutlich verbessert.» Er selbst leide auch an Schlafapnoe und trage auch eine solche Maske, sagt Markus Schmidt. Patient Mike hört während der gesamten Besprechung aufmerksam zu, stellt Fragen und ist am Schluss erleichtert: «Durch diese Diagnose sehe ich endlich Licht am Ende des Tunnels.»
Beratung, Therapie und Kurse
Im Sleep House werden Patientinnen und Patienten sowie Unternehmen zu Fragen rund um den Schlaf beraten. Betroffene und Interessierte können sich hier ohne Voranmeldung über Schlafthemen informieren, Informationsmaterial beziehen und einen kostenlosen Schlaf-Check durchführen. Das Team im Sleep House ist spezialisiert auf die Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen sowie Albtraumstörungen und setzt an der Ursache der Schlafprobleme an. Im Sleep House kostenlos sind der Besuch der Ausstellung, der fünfminütige Schlaf-Check, Infomaterial sowie verschiedene Informationsveranstaltungen (ab November 2022). Sollte durch eine ärztliche Untersuchung eine Schlaferkrankung festgestellt werden, kann diese nach einer Überweisung durch die Hausärztin oder den Hausarzt im Sleep House behandelt und über die Krankenkasse abgerechnet werden. Selbstzahlende ohne Vorliegen einer akuten Erkrankung erhalten eine schlafmedizinische Beratung (zum Beispiel zur Leistungssteigerung bei Sportlerinnen und Sportlern).
Therapieangebot
• Therapie bei Ein- und Durchschlafstörungen und morgendlichem Früherwachen (Insomnie)
• Albtraumtherapie
• Therapie bei Schlafwandeln, Nachtschreck und Sprechen im Schlaf
• Therapie bei Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen (Jetlag, Schichtarbeit, non-24)
• Ergänzende Verhaltenstherapie bei Restless-Legs-Syndrom, Schlafapnoe, Maskenphobie, Fatigue und Hypersomnien
Kurse
Ab Jahresbeginn 2023 finden Kurse für die Bevölkerung zu diversen Schlafthemen statt. Diese sind frei buchbar und unabhängig von einer ärztlichen Verschreibung:
• Gesund trotz Schichtarbeit
• Besser schlafen in den Wechseljahren
• Besser leben mit Long Covid und Fatigue
• Besser leben mit unruhigen Beinen (Restless-Legs-Syndrom)
• Besser leben mit Schlafapnoe
Weitere Informationen
Das Sleep House ist Teil der Universitätsklinik für Neurologie des Inselspitals Bern und befindet sich auf dem Gelände des Spitals Tiefenau.
Inselspital
Swiss Sleep House Bern
Freiburgstrasse 34, Haus 3
3010 Bern
sleephouse@ insel.ch
sleephouse.insel.ch