Ein anderes Leben

Vor fünf Jahren erlitt Georg Horisberger einen Schlaganfall. Auch dank intensivem Rehabilitationstraining konnte er wieder ins Alltagsleben zurückkehren. Er ist dankbar für das, was es ihm noch bietet, obwohl es sich deutlich von seinem vorherigen unterscheidet.

Den Ostermontag 2017 wird Georg Horisberger nie mehr vergessen. Das Wetter war trüb und viel zu kühl für die Jahreszeit. Er war im Büro im Obergeschoss seines Hauses in Grünenmatt im Emmental. Plötzlich sei ihm extrem schwindlig geworden, erzählt er. Nachdem er sich hingesetzt hatte, merkte er sofort, dass etwas nicht mehr so war wie zuvor. «Ich musste mich mit der rechten Hand an der Tischkante festhalten, ansonsten wäre ich vom Stuhl gefallen.» Georg Horisberger hatte einen Schlaganfall erlitten, ausgelöst wohl durch eine unbemerkte Schlafapnoe, wegen der er heute nachts eine Beatmungsmaske trägt. Seine komplette linke Körperseite war gelähmt.

Zum Glück war der Sohn da

Glücklicherweise war sein Sohn im Haus, der sofort den Notruf verständigte. In Erinnerung geblieben ist Georg Horisberger der Sanitäter, der den Fahrer des Rettungsfahrzeugs darauf hinwies, «Gas zu geben». Bei einem Schlaganfall zählt jede Minute. In der «Stroke Unit» des Inselspitals konnten die Ärztinnen und Ärzte das verstopfte Blutgefäss mittels angiografischer Katheterbehandlung wieder freilegen.

Danach spürte Georg Horisberger seine linke Körperhälfte wieder. Zurück blieb allerdings ein diffuses Gefühl, das bis heute anhält. Und er musste alle Bewegungen neu erlernen. Bereits auf der «Stroke Unit» besuchte ihn eine Ergotherapeutin, mit der er die ersten Rehabilitationsübungen machte. «Um die Finger meiner linken Hand zu bewegen, musste ich die Bewegung erst mit der rechten machen», erinnert sich der 61-Jährige. «So bekam ich eine Vorstellung vom Bewegungsablauf und konnte ihn dann mit der linken nachmachen.»

Von Bern nach Riggisberg

Aber Georg Horisberger machte schnell Fortschritte. Nach einer Woche konnte er die Insel bereits verlassen und wechselte in die stationäre Neurorehabilitation im Spital Riggisberg, das ebenfalls zur Insel Gruppe gehört. «Als ich mich dort in einen Rollstuhl setzen sollte, dachte ich erst: Was? Ich in einem Rollstuhl? Den brauche ich doch nicht!» Er konnte ihn anfangs dann doch ziemlich gut gebrauchen, «weil ich beim Gehen noch sehr wacklig war.»

In Riggisberg absolvierte er ein intensives Training von Montag bis Freitag, mit täglich bis zu fünf Therapien: Am Computer machte er kognitives Training zur Stärkung der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Reaktionsfähigkeit. Er unternahm Spaziergänge, erst kürzere in einer Gruppe, dann auch längere allein. Und auf seinem Laptop lernte er das 10-Finger-Schreibsystem neu.

Denn Georg Horisberger wollte so schnell wie möglich zurück ins Leben und zu seiner Arbeit. Er ist gelernter Elektromonteur, bei einem Arbeitsunfall in den 90er-Jahren verletzte er sich sein Knie so gravierend, dass er ab da bei einer Firma für Schaltanlagen im Büro arbeitete. Rund drei Monate nach seinem Schlaganfall stieg er dort wieder ein. Aber es gab Probleme: Er wurde schnell müde, nach einem halben Tag war er erschöpft. Und er hatte Mühe, sich zu konzentrieren, machte Fehler. «Ich rechne etwas aus, erhalte eine sechs und schreibe eine drei, ohne es zu merken», erklärt er. «Das passiert mir noch heute. Ausgerechnet mir, der ich früher ein Perfektionist war und extrem viele arbeitete.» Der Chef verlor schnell die Geduld und entliess ihn. «Das hat mich extrem enttäuscht», sagt Georg Horisberger.

Kampf mit der IV und neuer Job

Im Zentrum für Berufliche Abklärung in Luzern sagte man ihm, dass er noch zu 10 Prozent in einem geschützten Rahmen arbeitsfähig sei. Die Invalidenversicherung (IV) sah das anders und bestand auf einer Arbeitsfähigkeit von 40 Prozent. Erst nach einer dreijährigen kräftezehrenden Auseinandersetzung mit der Versicherung erhielt er eine 75-Prozent-Rente zugesprochen – eine Erfahrung, die ihn am «Rechtsstaat Schweiz» zweifeln liess.

Heute arbeitet Georg Horisberger an zwei halben Tagen in der Woche als Magaziner bei einem Elektriker im Nachbardorf. Die Arbeit erschöpft ihn immer noch schnell, Kopfschmerzen plagen ihn. Wenn er mit dem automatisch geschalteten Auto nach Bern fährt, muss er auf dem Weg immer eine Pause einlegen. Auch von Träumen musste er sich verabschieden: «Meine Frau und ich wollten nach der Pensionierung mit dem Camper Europa erkunden. Das wird nun leider nicht mehr gehen.»
Dafür hat er sich unlängst einen anderen Traum erfüllt und einen neuen Töff gekauft, bei dem das Schaltpedal seinem geschwächten linken Fuss angepasst ist. So kann er kleine Touren unternehmen. Und auch die Spiele der SCL Tigers besucht er ab und zu wieder. Georg Horisberger ist zurück im Leben. Er sagt: «Es ist zwar ein anderes als zuvor, aber ich bin dankbar für das, was es mir noch bietet.»