Privilegien und Pflichten des Globalen Nordens

Dr. med. Cornelia Staehelin, Leitende Ärztin der Universitätsklinik für Infektiologie, Fachärztin für Tropen- und Reisemedizin, Inselspital Bern

Chronische Infektionskrankheiten im Visier – Ausbildung des lokalen medizinischen Personals in Guinea, West-Afrika

Das CHRS – Centre Hospitalier Régional Spécialisé – in der Kleinstadt Macenta ist das regional spezialisierte Behandlungsspital für chronische Infektionskrankheiten im Südosten von Guinea-Conakry, West-Afrika. Für die rund 800km Distanz von der Hauptstadt Conakry benötigt man aufgrund der miserablen Strassenverhältnisse noch immer ca. 20 Autostunden – zwei Tagesreisen.

Vor 40 Jahren war das Spital primär zuständig für die Behandlung von Lepra und für die Eindämmung der weiteren Ausbreitung dieser gefürchteten Infektion mit den stigmatisierenden und oft schwer behindernden Folgeschäden. Über die ersten 15 Jahre gelang es dem Team des Spitals Neuinfektionen mit Lepra um 99% zu reduzieren. Auch wenn es dadurch nur wenige Neubehandlungen von Lepra gibt, machen ehemalige Leprapatienten immer noch einen erheblichen Teil der Patienten aus, da sie an den Komplikationen leiden - chronische, schlecht heilende Wunden müssen gepflegt oder chirurgisch behandelt werden, viele ehemalige Patienten benötigen im Laufe der Zeit die Anpassung von Gehhilfen oder Prothesen.

Im Laufe der Jahre wurde das Spital zusätzlich beauftragt, Referenzzentrum für Tuberkulose und HIV zu werden - zwei chronische Infektionskrankheiten, die unbehandelt meist zum Tod führen und auf jeden Fall nicht nur die betroffenen Patienten, sondern die ganze Familie tiefer in die Armut führen.

Zu Beginn bestand das ganze medizinische Fachpersonal – unter primärer Leitung der Schweizer NGO SAM-global – aus schweizerischen und anderen nicht-guineischen Spezialisten, da es praktisch keine in Guinea ausgebildeten Ärzte gab. Im Laufe der Jahre wurde einheimisches Fachpersonal ausgebildet, so dass mittlerweile sämtliches Personal guineische Staatsbürger sind. Dies alleine ist ein grossartiger und nachhaltiger Erfolg.

Der Anfang des Engagements

Seit 2016 reist Dr. Cornelia Staehelin mindestens ein Mal im Jahr für einen Monat nach Macenta. Aufgrund ihrer Spezialisierung in Infektionskrankheiten, insbesondere auch Tropenkrankheiten, wurde sie 2016 angefragt, den damaligen Schweizer Arzt zu vertreten, der mit seiner Familie für einen längeren Heimataufenthalt in die Schweiz zurückkehrte. Seither führt sie ihr Engagement weiter mit dem Fokus auf der Ausbildung der Ärzt:innen im Spital, inkl. der Einführung von essentiellen neuen diagnostischen Methoden.

Verbesserung der Therapie und Diagnostik chronischer Infektionskrankheiten

  • Ein erstes Projekt, mit Unterstützung durch ESTHER Schweiz (www.esther-switzerland.ch), führte die Messung der HIV Viruslast im Spital ein. Diese Methode zur Verbesserung der HIV-Therapie ist in der Schweiz seit Mitte der 1990-er Jahre Standard. Ohne diese Messung ist die HIV-Therapie letztlich ein Blindflug – die Patient:innen und Ärzt:innen merken oft erst wenn es zu spät ist, dass das HIV Virus resistent geworden ist, und oft versterben die Patienten bevor der Therapiewechsel erfolgen kann. Ausserhalb der Hauptstadt konnte damit das CHRS als einziges Spital im Land diese Messung einführen.
  • Weitere Neuerungen waren die Einführung der Lumbalpunktion (Messung von Rückenmarksflüssigkeit) zur Diagnose einer schweren Pilz-Hirnhautentzündung bei AIDS.
  • Eine Berner Medizinstudentin half die Schwachstellen im Tuberkuloseprogramm auszuleuchten und konnte dazu ihre Dissertation schreiben.
  • Der aktuelle Fokus liegt nun auf der chronischen Hepatitis B – einer chronischen Entzündung der Leber durch das Hepatitis B Virus, mit dem ca. 10-15% der Bevölkerung infiziert sind (meist bei Geburt oder in früher Kindheit). Während ein grosser Teil der infizierten Menschen niemals Komplikationen erleidet, entwickeln gewisse infizierte Personen zum Teil schon als Teenager oder junge Erwachsene Komplikationen in Folge einer fortgeschrittenen Vernarbung der Leber, der Leberzirrhose: Wasseransammlungen im Bauchraum, geschwollene Beine, Gelbverfärbung der Haut, Gewichtsabnahme durch Appetitverlust und Verdauungsstörungen und oft blutiges Erbrechen aus Krampfadern in der Speiseröhre. Die chronische Hepatitis B ist in Westafrika die häufigste Ursache von Leberkrebs. Cornelia Staehelin half, die Diagnostik zu verbessern mit der Einführung des Fibroscans – eines Gerätes, das den Vernarbungsgrad der Leber misst. Aktuell (2022) steht ein Fibroscan-Gerät als Leihgabe der Infektiologie am Inselspital für ein paar Monate in Macenta, damit möglichst alle Patienten mit einer chronischen Hepatitis B von dieser Untersuchungsmethode profitieren können. In Guinea gibt es kein Therapieprogramm für Hepatitis B.

Ausbildung der lokalen Ärzte

Im Rahmen des ersten HIV-Projektes und des aktuellen Hepatitis B Projektes konnten dank der Unterstützung durch ESTHER Schweiz mehrere Ärzte des CHRS auch ins Nachbarland Senegal, das medizinisch viel weiter entwickelt ist. Dort erhielten sie in einem kulturell und sprachlich sehr ähnlichen Kontext in der Behandlung von HIV (insbesondere der korrekten Interpretation der HIV-Viruslast), Tuberkulose und Hepatitis B eine Vertiefung ihres Wissens.

Das Gesundheitssystem stärken

Das Personal des CHRS ist mittlerweile in HIV, Tuberkulose und Hepatitis B so gut ausgebildet, dass sie an landesweiten Schulungen der Regierung andere medizinische Fachkräfte ausbilden. Das CHRS dient auch als Ausbildungsspital für junge Ärzte. Aktuelles Hauptziel des Hepatitis B Projektes ist es, das wahre Ausmass der Folgeschäden von Hepatitis B aufzuzeigen um auf diese Weise die Regierung zu unterstützen, ein eigenständiges Therapieprogramm für diese chronische Infektion aufzuziehen.

Dr. med. Cornelia Staehelin, Leitende Ärztin
Fachärztin Tropen- und Reisemedizin