Das Short-QT-Syndrom Typ 1 ist eine seltene, potenziell tödliche genetische Erkrankung des Herzens. Es geht mit einem hohen Risiko für lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen einher. Bei Betroffenen kommt es nicht selten zu Kammerflimmern, das zu einem plötzlichen Herztod führen kann. Dies geschieht häufig schon bei Kindern oder im jungen Erwachsenenalter und oft bei Menschen, die zuvor völlig gesund erschienen. Die Erkrankung entsteht durch Veränderungen im sogenannten KCNH2-Gen, das den Bauplan für einen wichtigen Kanal im Herzen liefert, über den elektrische Signale weitergeleitet werden. Diese genetische Veränderung führt dazu, dass die elektrische Erregung des Herzmuskels zu schnell wieder abklingt. Das Resultat ist ein verkürztes QT-Intervall im Elektrokardiogramm (EKG) – daher der Name «Short-QT-Syndrom», kurz «SQTS».
Bislang beschränkt sich die Behandlung des SQT1 auf symptomatische Massnahmen wie das Einsetzen eines Defibrillators, der Rhythmusstörungen beendet sobald diese auftreten, oder die Gabe von Medikamenten wie Hydroquinidine. Beide Ansätze sind mit erheblichen Nachteilen verbunden: Während ein Defibrillator für Patient:innen psychisch belastend sein kann und Komplikationen wie inadäquate Schockabgaben verursachen kann, gehen Medikamente wie Hydroquinidine häufig mit ausgeprägten Nebenwirkungen einher, die zum Abbruch der Therapie führen können.
Therapie zielt erstmals auf genetische Ursache
Forschenden unter der Leitung von Prof. Katja Odening von der Universitätsklinik für Kardiologie am Inselspital, Universitätsspital Bern und des Instituts für Physiologie der Universität Bern zusammen mit Forschenden um Prof. Michael Ackerman der Mayo Clinic in Rochester, USA, ist es nun erstmals gelungen, im Tiermodell eine neue Gentherapie erfolgreich zu entwickeln und testen, die direkt an der genetischen Ursache des SQT1 ansetzt. Dabei wird das fehlerhafte KCNH2-Gen gleichzeitig unterdrückt und durch eine gesunde Kopie ersetzt. Diese so genannte KCNH2-SupRep Doppelstrategie (entdeckt und patentiert von der Mayo Clinic) konnte die typischen Krankheitsmerkmale im SQT1-Tiermodell vollständig korrigieren: Das verkürzte QT-Intervall im EKG wurde normalisiert, die elektrische Erholung des Herzens verlief wieder geordnet und auch das Risiko für lebensbedrohliche Rhythmusstörungen verringerte sich deutlich. Auch auf Zellebene konnten die Ionenströme und das Zusammenspiel zwischen elektrischen Signalen und Herzschlag wieder in Balance gebracht werden.
Prof. Dr. med. Katja Odening, Professorin für Translationale Kardiologie an der Universität Bern, Leitende Ärztin an der Universitätsklinik für Kardiologie am Inselspital und Letztautorin der Studie betont die Besonderheit der Arbeit: «In dieser präklinischen Studie wurde erstmals erfolgreich eine Gentherapie beim Short-QT-Syndrom durchgeführt. Zum ersten Mal greifen wir damit direkt an der genetischen Ursache dieser Erkrankung an, die bislang nur symptomatisch behandelt werden konnte.»
Gezielte Wirkung im Herzen
Ein zentrales Ziel der Forschungsgruppe war es, die Therapie so zu gestalten, dass sie möglichst spezifisch im Herzen wirkt und keine unerwünschten Effekte in anderen Organen verursacht. Dies wurde durch den Transport der Gentherapie über AAV9-Viren erreicht, die bevorzugt Herzmuskelzellen infizieren. Genetische Schalter (so genannte Promotoren) stellten zusätzlich sicher, dass das eingeschleuste Gen nur in Herzmuskelzellen aktiv wurde. Schliesslich wurde die Gentherapie direkt über die Hauptschlagader in die Herzkranzgefässe injiziert, ähnlich wie bei einer Herzkatheteruntersuchung in der Klinik. Auf diese Weise konnte sie gezielt im Herzen wirksam werden. Diese Kombination ermöglichte einen gezielten und effizienten Einsatz der Therapie, ohne systemische Nebenwirkungen.
Neue Perspektiven für grössere Patientengruppe
Veränderungen im KCNH2-Gen, das in der Gentherapie ersetzt wurde, sind nicht nur Auslöser des SQT1, sondern können auch ein sogenanntes Long-QT-Syndrom Typ 2 (LQT2) verursachen. «Diese Erkrankung ist deutlich häufiger und geht wie SQT1 mit einem hohen Risiko für den plötzlichen Herztod einher,» ergänzt Prof. Odening. «Somit könnte dieser vielversprechende Ansatz neue therapeutische Perspektiven eröffnen – nicht nur für die sehr kleine Zahl von Patienten, die von SQT1 betroffen sind, sondern potenziell auch für Hunderte von Familien mit LQT2. Aktuell läuft in Zusammenarbeit mit der Mayo Clinic und Solid Biosciences bereits eine tierexperimentelle Studie für LQT2.»
Weitere Forschung entscheidend
Weltweit werden derzeit immer mehr Gentherapien für seltene Krankheiten zugelassen. Die aktuelle Studie zeigt, dass sich auch für genetisch bedingte Herzrhythmusstörungen neue Türen öffnen. Gleichzeitig mahnt Prof. Odening zur wissenschaftlichen Sorgfalt: «Nur durch weitere präklinische Forschung und klinische Studien kann der Sprung vom Tiermodell in die Patientenversorgung gelingen.» Bevor die Gentherapie erstmalig in Patienten eingesetzt werden kann, müssen weitere Studien ihre Sicherheit bestätigen, mögliche Nebenwirkungen in anderen Organsystemen ausschliessen und die Langzeitwirkung über Jahre nachweisen – idealerweise nach nur einer einmaligen Anwendung. Genau diesen Fragen geht das Forschungsteam nun nach und testet die Gentherapie parallel auch in einem Tiermodell des LQT2.
Im Rahmen eines vom Bern Center of Precision Medicine (BCPM) geförderten Lighthouse Project Grants «PACE – Precision Diagnosis and Therapy in Cardiac Channelopathies» untersucht das Forschungsteam um Prof. Katja Odening zudem aktuell gemeinsam mit Forschenden der Humangenetik (Prof. Christiane Zweier), der Anatomie (Prof. Nadia Mercader), des Department for BioMedical Research (DBMR) (Ass. Prof. Marco Osterwalder) und der Chemie (Prof. Jean-Louis Reymond), inwieweit ähnliche Gentherapie-Ansätze auch für andere genetische Herzerkrankungen mit einem erhöhten Risiko für den plötzlichen Herztod entwickelt und eingesetzt werden können.
Links
Universitätsklinik für Kardiologie – Inselspital Bern
Publikation
Nimani S, et al. AAV9-mediated KCNH2 suppression-replacement gene therapy in a transgenic rabbit model of type 1 short QT syndrome. Eur Heart J. 2025 Aug 30:ehaf660. doi: 10.1093/eurheartj/ehaf660. Online ahead of print.
Expertin
Prof. Dr. med. Katja Odening, Professorin für Translationale Kardiologie, Leitende Ärztin, Leiterin Translationale Kardiologie & Kardiogenetik, Universitätsklinik für Kardiologie, Inselspital, Universitätsspital Bern und Institut für Physiologie, Universität Bern