Wenn Entzündungen auf die Nerven gehen: Neue Erkenntnisse zur Rolle von Nervenzellen bei Magen-Darm-Beschwerden

Magen-Darm-Entzündungen können langwierige Magen-Darm-Beschwerden verursachen. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Charité - Universitätsmedizin Berlin und des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern, hat erstmals nachgewiesen, dass Entzündungen Nervenzellen im Darm schädigen und absterben lassen. Dadurch verschlechtert sich die Darmfunktion, was die Beschwerden verstärkt. Diese Erkenntnisse könnten neue Ansätze zur Behandlung langwieriger Magen-Darm-Beschwerden bieten.

Bei 40 Prozent der Bevölkerung führen Magen-Darm-Entzündungen zu chronischen Magen-Darm-Beschwerden, wie anhaltende Bauchschmerzen, Unwohlsein oder das Reizdarmsyndrom. Fachleute vermuten, dass spezielle Nervenzellen im Darm direkt von den Entzündungen geschädigt werden, was die chronischen Beschwerden begünstigen könnte. Bislang war es allerdings schwierig, diesen Zusammenhang wissenschaftlich zu belegen, da es besonders während einer Entzündung kaum möglich ist, Nervenzellen aus dem Magen-Darm-Trakt zu isolieren.

Studie untersucht erstmals Nervenzellen im Darm
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Charité und des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern konnte in einer aktuellen Studie nun erstmals auf molekularer Ebene nachweisen, dass entzündliche Prozesse die Nervenzellen im Darm schädigen und ihre Funktion beeinträchtigen. Um dies zu zeigen, entwickelten die Forschenden eine spezielle Methode, bei der sie die Nervenzellen des Verdauungssystems mit einem fluoreszierenden Marker kennzeichneten. Dadurch war es möglich, die Nervenzellen gezielt aus dem Gewebe zu isolieren und sowohl im gesunden als auch im entzündeten Zustand zu analysieren. Mithilfe moderner Genanalyse untersuchten die Forschenden anschliessend die Genaktivität dieser Zellen und stellten deutliche Veränderungen fest, die mit Entzündungen in Verbindung stehen.

Mögliche Schlüsselmechanismen für langanhaltende Beschwerden
So zeigte sich, dass während einer Magen-Darm-Entzündung in den Nervenzellen zwei zentrale biologische Prozesse aktiviert werden. Einerseits die Interferon-Signalkaskade: Sie spielt eine wichtige Rolle in der Immunabwehr, kann aber auch Nervenzellen schädigen. Und andererseits die Ferroptose: Eine spezielle Form des Zelltods, die durch Eisenionen ausgelöst wird und zum Absterben von Nervenzellen im Darm führt. Diese beiden Prozesse führen dazu, dass sich die Darmfunktion verschlechtert, was zu chronischen Beschwerden führen kann. In weiteren Versuchen schalteten die Forschenden gezielt die Interferon-Andockstellen der Nervenzellen aus und konnten so zeigen, dass sich die Entzündung und der Zelltod verringert, was die Beweglichkeit des Darms deutlich veränderte.

Hoffnung auf neue Behandlungsmöglichkeiten bei chronischen Magen-Darm-Beschwerden
«Diese Studie liefert neue Erkenntnisse darüber, wie sich Nervenzellen im Darm an Entzündungen anpassen und welche Signalwege dabei eine Rolle spielen. Sie zeigt insbesondere, dass das Interferon-System und die Ferroptose wichtige Faktoren sind, die während einer Entzündung in den Nervenzellen aktiviert werden,» erklärt Dr. med. Manuel Jakob von der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin am Inselspital, Forschungsmitarbeiter am Department for BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern und einer der Erstautoren der Studie. Er ergänzt: «Diese Prozesse könnten in Zukunft mittels gezielter Therapie bei anhaltenden Magen-Darm-Beschwerden angegangen werden.» So soll in einem nächsten Schritt getestet werden, ob durch die Hemmung der Interferon-Andockstellen der Verlauf von chronischen Magen-Darm-Beschwerden beeinflusst werden kann. Sollte dies der Fall sein, könnte die gezielte Hemmung von Interferon-Signalen oder Ferroptose-Signalwegen neue therapeutische Möglichkeiten zur Behandlung chronischer Magen-Darm-Beschwerden eröffnen.

 

Link
Inselspital Bern - Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin
Charité - Universitätsmedizin Bernlin - Institut für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie

Publikation
PM*, Jakob MO* et al. A transcriptional atlas of gut-innervating neurons reveals activation of interferon signaling and ferroptosis during intestinal inflammation. Neuron (2025). Online ahead of print. https://doi.org/10.1016/j.neuron.2025.02.018

Experte
Dr. med. Manuel Jakob, Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern und Universität Bern

Nervenzellen im Magen-Darm-Trakt (gelb); pinke Stellen markieren Bereiche mit Ferroptose (eisenvermittelter Zelltod). © Charité | Dr. Patrycja Forster